Erste BGH Entscheidung im Familienrecht unter Anwendung des KSÜ

Der BGH hat mit Urteil vom 16.03.2011 (XII ZB 407/10 – Volltext hier) zum ersten Mal Anwendung von dem in Deutschland am 01.01.2011 in Kraft getretenden Haager Übereinkommen vom 19.10.1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit bezüglich der elterlichen Verantwortung und Maßnahmen zum Schutz von Kindern (KSÜ) gemacht.

Das KSÜ ersetzt im Verhältnis seiner Vertragstaaten das sog. „Minderjährigen Schutz Abkommen“ (Haager Übereinkommen vom 05.10.1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen – MSA).

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Kindesmutter (deutsche Staatsangehörigkeit) und Kindesvater (französische Staatsangehörigkeit) lebten unverheiratet mit einem gemeinsam Kind in Frankreich. Französische Gerichte entschieden, dass die Eltern gemeinsam sorgeberechtigt seien und der Kindesaufenthalt bei der Mutter liege. Zudem wurde ein Umgangsrecht des Vater geregelt.

Die Mutter zog mit dem Kind nach Deutschland. In einem Umgangsverfahren vor deutschen Gerichten wurde eine Vereinbarung getroffen, die das gemeinsame Sorgerecht beider Eltern und den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes bei der Mutter bestätigte.

Neben verschiedenen Streitigkeiten betreffend die Schulwahl des Kindes, stellten beide Elternteile in der Folgezeit Anträge auf Übertragung der Alleinsorge auf sich.

Das OLG Brandenburg hat schließlich dem Vater als Beschwerdeinstanz die Alleinsorge übertragen und den sofortigen Vollzug (Herausgabe des Kindes) innerhalb einer Woche angeordnet.

Entscheidende Rolle kommt dem KSÜ nun bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts zu (die internationale Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO).

Die Anwendbarkeit des KSÜ ergibt sich laut BGH aus Art. 53 Abs. 1 KSÜ, da die Maßnahme (Aufhebung gemeinsame Sorge und Übertragung der Alleinsorge) nach Inkrafttreten des KSÜ in Deutschland getroffen werden soll. Sodann wendet der BGH die Bestimmung des Art. 16 Abs.1 KSÜ an, nach welcher sich das anwendbare Recht nach Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthaltes bestimmt.

Insoweit enstprechen die Regelungen (und das awendbare) der früher anwendbaren Bestimmung aus Art. 21 EGBGB.

Die wirklich wichtige Frage, ob Art. 16 Abs. 3 KSÜ anwendbar ist (der vorsieht, dass eine per Gesetz begründetes Sorgerecht auch bei Änderung des gewöhnlichen Aufenthaltes als fortbestehend angesehen werden muss) umschifft der BGH elegant, indem er annimmt, dass bereits Sorgerechtserklärungen von beiden Eltern abgegeben worden sind.

Unabhängig von den Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Kindeswohles und der Frage wem die Sorge für das Kind übertragen werden soll, zeigt dieser Fall, dass bei Fällen mit internationalem Bezug Erstens die Frage der Zuständigkeit und Zweitens die Frage welches materielle Recht anwendbar ist, zentrale Weichenstellungen für den gesamten Fall sind. Hierbei ist empfehlenswert den Rat eines entsprechend fachlich qualifizierten Rechtsanwaltes zur Vermeidung von überlangen Verfahrensdauern (Unzuständigkeitsproblematik) hohen Kosten und ggf. materiell-rechtlich nachteiligen Regelungen zu vermeiden.